als .pdf Datei herunterladen

BVerfG und EuGH, taktisch und strategisch

Der Euro zwischen Hoffen und Bangen

NTG24 - BVerfG und EuGH, taktisch und strategisch

 

Am morgigen 05.08.2020 läuft die Frist ab, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 05.05.2020 der Europäischen Zentralbank gesetzt hatte, um die Verhältnismäßigkeit ihrer Anleihekäufe darzulegen.

Anfang Mai hatte das Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) das Staatsanleihen-Kaufprogramm PSPP der Europäischen Zentralbank (EZB) für teilweise verfassungswidrig erklärt (Urteil vom 05.05.2020, Az. 2 BvR 859/15 u.a.).

Das Bundesverfassungsgericht hatte mehreren Verfassungsklagen gegen das im Jahr 2015 begonnene Kaufprogramm PSPP zur Ankurbelung von Inflation und Konjunktur überwiegend stattgegeben. Die Europäische Zentralbank überdehne damit ihr Mandat für die Geldpolitik, so das höchste deutsche Gericht.

Bundesregierung und Bundestag sollten darauf hinwirken, dass die EZB nachträglich prüft, ob die Käufe verhältnismäßig sind. Andernfalls dürfte sich die Bundesbank nicht mehr daran beteiligen. Für diese Prüfung räumte das Bundesverfassungsgericht eine Frist von drei Monaten ein.

In unserem Beitrag vom 22.07.2020 fragten wir: ,,Ist dies nun ein erster großer Schritt hin zur Staatsqualität der EU? Wer sind die Herren der Verträge und wie war das mit dem Demokratieprinzip? Wenn man die Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts von Anfang Mai 2020 liest, so dürfte hier noch einiger rechtsstaatlicher Sprengstoff warten, auch wenn für den konkreten Fall die Beteiligten eine geräuschlose Antwort gefunden haben.‘‘

 

Gabelung

Bildnachweis: @ EMH Service GmbH

 

Und diese geräuschlose Antwort ist offensichtlich gefunden worden. Die EZB beschwert sich nicht mehr lauthals über die Kompetenzanmaßung des deutschen Bundesverfassungsgerichts, sondern erfüllt die Forderungen formal. Der erzieherische Effekt des Urteils auf die wohl mental freischwebenden Richter des EuGHs in Luxemburg wird damit zumindest deutlich, auch wenn materiellrechtlich substanzielle Lücken bleiben.

 

Bundesbank kann sich weiter an EZB-Anleihekäufen beteiligen

 

Nun gab die deutsche Bundesregierung unter Kanzlerin Merkel kurz vor Ab­lauf der vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt ge­setz­ten Frist der Eu­ro­päi­schen Zen­tral­bank grünes Licht für ihre riesigen Käufe von Staats­an­lei­hen­. Man sehe die An­for­de­run­gen des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts er­füllt, teil­te ein Spre­cher des Fi­nanz­mi­nis­te­ri­ums am 31.07.2020 auf An­fra­ge mit. Die vom EZB-Rat vor­ge­nom­me­ne Ver­hält­nis­mä­ßig­keits­prü­fung lege die Ab­wä­gung nach­voll­zieh­bar dar.

Und der Bundestag, den das Bundesverfassungsgericht das eine ums andere Mal daran erinnern musste, dass er seine fiskal- und staatspolitische Verantwortung für das deutsche Volk im allgemeinen und seine fiskalpolitische Stabilität im speziellen nicht delegieren kann? Wie die Bundesregierung sieht auch der Bundestag nunmehr die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts als erfüllt an. Die Abgeordneten hatten bereits Anfang Juli mit breiter Mehrheit für einen entsprechenden fraktionsübergreifenden Antrag gestimmt.

Auch die Deutsche Bundesbank betrachtet die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu den Staatsanleihekäufen als erfüllt. ,,Die Deutsche Bundesbank wird sich deshalb weiterhin an Ankäufen im Rahmen des PSPP beteiligen", teilte die Notenbank am 03.08.2020 auf Anfrage mit.

Bereits Anfang Juni stellte der EZB-Rat fest, dass das Kaufprogramm auch mit Blick auf dessen wirtschaftspolitische Auswirkungen verhältnismäßig sei. Der EZB-Rat hatte zudem Unterlagen für die Bundesregierung und den Bundestag freigegeben, die die Verhältnismäßigkeit der Käufe belegen sollen. Die Papiere wurden der Bundesregierung und dem Bundestag über die Bundesbank zur Verfügung gestellt.

 

Fazit

 

Bei aller scheinbaren Institutionen-Harmonie: Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Einhaltung seines Urteils nicht von sich aus prüft, so können die Kläger bei Zweifeln daran den Erlass einer Vollstreckungsanordnung beantragen. Der frühere CSU-Politiker Peter Gauweiler hat das bereits angedroht. Ein solcher Antrag müsste dann in Karlsruhe eigens geprüft werden. Ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts bestätigte am Montag, dass ein
entsprechender Antrag eingegangen sei.

Der Kampf um die Deutungshoheit über die stattfindenden ökonomischen und juristischen Rettungsmaßnahmen für die derzeitige Europäische Union und ihre Währungsunion dauert also an. Der Rechtsstreit könnte sich hinziehen.

Dass eine nachhaltige Lösung aber gar nicht im juristischen Schattenboxen, sondern in der ökonomisch destruktiven Konstruktion des Euros liegt, will man weder in Berlin, Paris und Rom zugeben. Erhellend wirkt diesbezüglich, was der frühere Ifo-Präsident Prof. Hans-Werner Sinn am 24.07.2020 unter dem Titel ,,The Euro Crisis’s New Clothes‘‘ darlegte. Danach wurzelt die große Kapitalflucht aus den südeuropäischen EU-Ländern, vor allem Italien, Spanien, Portugal und Griechenland, in den dortigen ökonomisch falschen relativen Preisen.

 

Denk‘ ich an Deutschland in der Nacht…

 

Solange die EU und die einzelnen Mitgliedsstaaten diesen dunklen Schatten des Euros nicht beseitigen, dürfte nicht nur der juristische Gegenwind stärker werden. Kontrollillusion und Vertragsüberdehnung vertragen sich jedenfalls kaum mit freien Märkten und Individualgrundrechten. Gerade in der Beleuchtung dieser Konflikte liegt in Zeiten hohen Konformitätsdruckes durch mediale Deutungs-Narrative der Wert freier Meinungsäußerung.

 

04.08.2020 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de

 

Auf Twitter teilen     Auf Facebook teilen





Ihre Bewertung, Kommentar oder Frage an den Redakteur


Bitte geben Sie die Anzahl der unten gezeigten Eurozeichen in das Feld ein.
>

 



Bewertungen, Kommentare und Fragen an den Redakteur

 

  • Henke - 04.08.2020 14:36:42 Uhr

    Leuchtet mir ein.


 

Haftungsausschluss - Die EMH News AG übernimmt keine Haftung für die Richtigkeit der Empfehlungen sowie für Produktbeschreibungen, Preisangaben, Druckfehler und technische Änderungen. (Ausführlicher Disclaimer)