Herausforderungen bei Strafprozessen
Die Folgen der Coronakrise für die deutsche Justiz
Das Coronavirus beeinflusst nicht nur die Gesellschaft und die Wirtschaft umfassend, sondern auch den Rechtsstaat in Deutschland. Während möglichst alle Kontakte vermieden werden sollen und Abstand gehalten werden muss, ist dies während eines Prozesses nur schwer umsetzbar.
Insbesondere Strafprozesse stehen vor neuen Herausforderungen. Richter und Schöffen, die zur Urteilsfindung berufen sind, sowie der Angeklagte müssen – mit nur wenigen Ausnahmen – während eines Strafprozesses vollständig anwesend sein. Die Hauptverhandlung erfolgt zudem in ununterbrochener Gegenwart der Staatsanwaltschaft und eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Zudem gehören zu vielen Strafprozessen häufig auch Zeugen und Nebenkläger. Darüber hinaus, müssen auch während einer solchen Ausnahmesituation, die Strafverfahrensgrundsätze gewahrt werden. So auch der Öffentlichkeitsgrundsatz, der bestimmt, dass Gerichtsverhandlungen für die Öffentlichkeit zugänglich sind.
Die Herausforderung ist offensichtlich: Gerichte müssen weiterhin funktionstüchtig sein, aber sowohl die Bevölkerung als auch die Mitarbeiter der Justiz müssen dabei angemessen geschützt werden.
Jedoch sind die meisten Gerichte räumlich nicht darauf ausgelegt, dass die Abstandsmaßnahmen eingehalten werden können. Zudem kann häufig nicht auf den elektronischen Rechtsverkehr ausgewichen werden, da viele Gerichte nicht dementsprechend ausgestattet sind.
Als Folge davon führen Gerichte nur noch unaufschiebbare Verhandlungen durch und viele Termine, die keine besondere Dringlichkeit haben, sind aufgehoben worden. Jedoch gibt es dabei bundesweit kein einheitliches Vorgehen. Verhandlungen, die nicht aufgeschoben werden können, werden möglichst schnell bearbeitet, wie auch ein Cum-Ex-Prozess, der deutlich verkürzt worden ist. Es ist jedoch schwer einzuschätzen, welche Auswirkung eine derartige Beschleunigung auf die Urteilsfindung hat.
Bislang durften Hauptverhandlungen nur für drei Wochen, und wenn sie länger als zehn Verhandlungstage angedauert haben, für einen Monat unterbrochen werden. Sonst muss der Prozess erneut beginnen und die gesamte Beweisaufnahme muss wiederholt werden. Der zusätzliche Aufwand und die Verzögerungen sind offensichtlich. Daher wurde vom Deutschen Bundestag beschlossen, dass strafgerichtliche Hauptverhandlungen während der Corona-Krise für längere Zeit unterbrochen werden können. Damit können Gerichte Hauptverhandlungen für maximal drei Monate und zehn Tage unterbrechen, wenn sie aufgrund von Maßnahmen zur Vermeidung der Verbreitung von Infektionen mit dem Coronavirus nicht durchgeführt werden können.
Gleichzeitig muss jedoch der Beschleunigungsgrundsatz gewahrt werden. Vor allem, wenn der Beschuldigte bereits in Untersuchungshaft sitzt. Denn wie auch beim Öffentlichkeitsgrundsatz gestattet die momentane Situation immer noch nicht, das gewisse Grundsätze komplett vernachlässigt werden.
Darüber hinaus sind auch Gefängnisse betroffen. Damit sich das Virus möglichst nicht ausbreiten kann, wird der Haftantritt in einigen Fällen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Zudem dürfen Häftlinge in Justizvollzugsanstalten derzeit keinen Besuch von Angehörigen empfangen.
Doch wie wird es weitergehen? Die Folgen werden auch nach einer Normalisierung der momentanen Situation in der Justiz spürbar sein, denn es wird eine Herausforderung sein, die angestaute Arbeit nachzuarbeiten. Und dabei war die Justiz schon vor der Coronakrise mehr als ausgelastet. Es könnte dazu führen, dass immer mehr Verfahren eingestellt werden. Ob die aktuellen Beschuldigten und Angeklagten aufgrund der Verzögerungen profitieren, wird sich jedoch erst in Zukunft zeigen.
18.04.2020 - Ann-Kathrin Wellen - akw@ntg24.de
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