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Zweifel in den Niederlanden an der polnischen Gewaltenteilung

Polen droht neuer juristischer Konflikt mit der EU

NTG24 - Zweifel in den Niederlanden an der polnischen Gewaltenteilung

 

Die Zeichen im juristischen Fingerhakeln zwischen der EU und Polen stehen weiter auf Sturm. Ein Ersuchen aus den Niederlanden an den Europäischen Gerichtshof könnte dafür sorgen. Und auch polnische Strafverfolger müssen zittern. Dies berichtet heute die Nachrichtenagentur EU-info.de.

Danach droht Polen neuer Ärger wegen seiner umstrittenen Justizreform. Ein Sprecher des Europäischen Gerichtshofes bestätigte der Deutschen Presseagentur (DPA), dass sich ein Amsterdamer Gericht mit einem explosiven Antrag zur Auslegung von EU-Recht an den EuGH gewandt hat. Nun soll dieser entscheiden, ob grundsätzliche Zweifel an der Unabhängigkeit der polnischen Justiz ein allgemeines Vollstreckungsverbot für europäische Haftbefehle aus Polen rechtfertigen könnten.

,,Seit 2007 steht die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte und dadurch das Recht auf einen ehrlichen Prozess immer stärker unter Druck‘‘, teilte das Amsterdamer Gericht zu seinem sogenannten Vorabentscheidungsersuchen mit. Die rechtspolitischen Entwicklungen der letzten Jahre in Polen wirken sich nach Ansicht der niederländischen Richter so stark auf die Unabhängigkeit der polnischen Gerichte aus, dass diese nicht mehr unabhängig von der polnischen Regierung und dem polnischen Parlament sein könnten.

Wann der EuGH ein Urteil in der Sache entscheidet, ist nach Angaben des Sprechers noch nicht klar. Das Amsterdamer Gericht hat allerdings gebeten, seine Fragen vordringlich zu behandeln. Dies könnte bedeuten, dass es bereits in wenigen Monaten eine Entscheidung gibt.

Eine Sprecherin der EU-Kommission sagte DPA zufolge gestern, der Fall werfe bedeutende Fragen im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit der Justiz in Polen und der Vollstreckung europäischer Haftbefehle auf. Wie bei Vorabentscheidungsersuchen üblich, beabsichtige die Kommission sich mit einer Stellungnahme an dem Verfahren zu beteiligen.

Als ,,Hüterin der EU-Verträge‘‘ geht die Kommission bereits seit mehreren Jahren gegen die Justizreform in Polen vor. Sie hat auch bereits mehrfach den EuGH wegen Teilen der Reform angerufen. Dieser hatte anschließend unter anderem entschieden, dass die Herabsetzung des Pensionsalters der Richter am Obersten Gericht in Polen nicht mit dem EU-Recht vereinbar ist und gegen den Grundsatz der Unabsetzbarkeit von Richtern und damit gegen die Unabhängigkeit der Justiz verstößt.

 

,,Konkrete Verfahrensmängel'' oder schon ,,reele Gefahr''?

 

Im aktuellen Fall will das Amsterdamer Gericht unter anderem wissen, ob ein Haftbefehl schon dann nicht ausgeführt werden kann, wenn gerichtlich festgestellt wurde, dass grundsätzlich eine ,,reelle Gefahr‘‘ eines unfairen Verfahrens besteht, weil die polnischen Gerichte ,,aufgrund struktureller und grundlegender Mängel nicht mehr unabhängig sind.‘‘ Bisher ist es üblich, dass im Einzelfall geprüft werden musste, ob sich Mängel auf das konkrete Verfahren des Betroffenen auswirken könnten.

Dabei hatte der EuGH zuvor bereits im Juli 2018 geurteilt, dass die umstrittene Justizreform dazu führen kann, dass Behörden anderer EU-Länder europäische Haftbefehle aus Polen künftig nicht vollstrecken dürfen (Rechtssache C-216/18 PPU). Allerdings wurden dazu bestimmte Voraussetzungen definiert.

 

Urteil

Bildnachweis: © Fotograf - Bill Oxford

 

Um die Vollstreckung des Haftbefehls ablehnen zu können, müssen die Behörden diesem Urteil zufolge zunächst einmal geklärt haben, ob wegen systematischer oder allgemeiner Mängel im Justizsystem eine Gefahr für das Grundrecht auf ein faires Verfahren besteht. Anschließend ist dann aber auch noch zu prüfen, ob sich festgestellte Mängel im konkreten Fall auf das Verfahren des Betroffenen auswirken könnten. Dazu muss zum Beispiel untersucht werden, ob die Unzulänglichkeiten im Justizsystem auch auf jene Gerichte zutreffen, die sich mit dem Fall befassen würden.

Hintergrund des Urteils war damals der Fall eines in Irland verhafteten Polen, der sich gegen seine Auslieferung an die polnischen Behörden wehrte. Der wegen Drogenhandels verfolgte Mann argumentierte, wegen der Reform des polnischen Justizsystems bestehe die echte Gefahr, dass er in Polen kein faires Verfahren erhalte. Er stützte sich dabei unter anderem auf die Position der EU-Kommission, die der Ansicht ist, dass die Reform die Gewaltenteilung gefährden und die Unabhängigkeit von Gerichten einschränken. Letztendlich entschieden sich die Iren aber doch für eine Auslieferung.

Polens stellvertretender Justizminister Michal Wojcik reagierte auf das Ersuchen der niederländischen Richter und verwies auf diesen Fall. ,,Am Ende hat Irland den Verdächtigen an Polen ausgeliefert, und das EuGH hat sehr genau den Weg aufgezeichnet, was (...) zu tun ist, wenn jemand die Frage der Unabhängigkeit der Gerichte untersucht. Die niederländischen Richter sollten genau auf diesem Pfad gehen.‘‘

 

Auch deutsche Gerichte haben Zweifel an fairen Verfahren in Polen

 

Bereits im Februar 2020 hatte jedoch auch das Oberlandesgericht Karlsruhe den Haftbefehl gegen einen Verdächtigen aus Polen aufgehoben, weil es Zweifel an der Wahrung eines fairen Verfahrens in dessen Heimatland hatte. Eine endgültige Entscheidung über die Zulässigkeit der gewünschten Auslieferung werde allerdings erst erfolgen, nachdem die polnischen Behörden Gelegenheit zur Beantwortung der Anfrage des Senats hatten, hieß es damals vom Gericht.

In dem konkreten niederländischen Fall geht es nun um einen Polen, der aus den Niederlanden rund 200 Kilogramm sowohl harter als auch weicher Drogen in sein Heimatland geschmuggelt haben soll. Gegen ihn liegt bereits seit 2015 ein Haftbefehl des Bezirksgerichts in Posen vor.

 

Fazit

 

Die zunehmenden juristischen Spannungen zwischen der regierenden konservativen Partei Polens und dem legislativen Besitzstand der EU verweist auf die Fragilität der Rechtssysteme im Allgemeinen wie auch jenem Polens im Speziellen. Sensibel ist diese Frage auch deshalb, weil eine starke Sanktionierung Polens, etwa ein (vorübergehender) Entzug seines Stimmrechts, zu einer Blockade im Politikprozess der EU insgesamt führend könnte. Dies gilt dabei insbesondere für jene Entscheidungen, welche Einstimmigkeit erfordern.  Sollte der EuGH die Gefahr im konkreten Fall als gegeben ansehen, dürfte dies auch weitergehende Implikationen für die Entwicklung der EU als Rechtsgemeinschaft haben. Man kann also durchaus von einem ,,Stresstest‘‘ der EU in Bezug auf die Durchsetzung einer effektiven Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit von Gerichten sprechen. Dies macht den aktuellen Fall so brisant. Man darf auf die Reaktion aus Luxemburg gespannt sein!

 

06.08.2020 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de

 

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