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Ladakh und das neue ,,Great Game''

Indien und das ,,Grand Design'' Chinas

NTG24 - Ladakh und das neue ,,Great Game''

 

Die Verwobenheit innenpolitischer und außenpolitischer Prozesse kann derzeit an der indisch-chinesischen Grenze eindrücklich studiert werden. Denn beide Länder befinden sich innenpolitisch in einer spannungsgeladenen Situation. Die interpretativen Trampelpfade der eigenen Geschichtsklitterung verbauen dabei nicht nur taktisch den Weg zur einvernehmlichen Lösung, es sind mindestens genauso sehr die strategische Rivalität um Wasser, Handelsrouten und kulturelle Dominanz. Letzteres gilt in China für die Han-Chinesen, in Indien für die Prägung durch den Hinduismus als politische Ideologie.

 

Konflikt und Kooperation

 

Diese Aufzählung klingt bei einem Blick in den historischen Rückspiegel nicht sehr friedlich, denn weder die Briten mit ihrer Machtpolitik auf dem indischen Subkontinent und Zentralasien noch die Russen, deren machtpolitisches Desaster in Afghanistan unvergessen bleibt, trugen zu einer Lösung dieser strategischen Rivalität bei. Ein Blick auf die explosiven Grenzen zu Pakistan und den Kaschmirkonflikt zeugt dabei von der Last der ,,eingefrorenen‘‘ Konflikte, die zwischenzeitlich schnell wieder auftauen und damit an den Rand von ,,heißen‘‘ geraten. Es scheint, als würde man weit hinten im historischen Zeitstrahl noch das ,,Great Game‘‘, den Konflikt um Macht und Einfluss in Zentralasien zwischen Großbritannien und Russland sehen. Dieser dauerte von Napoleons Rückzug aus Russland 1813 mindestens bis zum Sieg der Bolschewiki 1917, lässt sich aber problemlos bis zur Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien 1947 weiterverfolgen.

 

Stabile wirtschaftliche Interessen und politischer Anpassungsdruck

 

Die wirtschaftliche Schwächung der Weltwirtschaft, verstärkt durch den Lockdown aufgrund der Corona-Pandemie, ist jedenfalls kein sonderlich stabiler Boden für Vertrauen, denn er erhöht den ökonomischen Anpassungsdruck und erzwingt die (Neu)-Verteilung der Anpassungskosten- und Lasten. Dabei vermischen sich in Indien verschleppte Ineffizienzen aus nicht durchgeführten Strukturreformen mit einer sozialen und ökonomischen Schichtung, die durch das indische Kastensystem, gelinde gesagt, nicht gerade abgebaut wird.

Und nun das: Mindestens 20 indische Soldaten wurden Anfang dieser Woche bei Zusammenstößen mit chinesischen Soldaten an der umstrittenen indisch-chinesischen Grenze getötet. Dies sind die ersten offiziellen Toten seit 40 Jahren. Zwar sind Peking und Delhi um Deeskalation bemüht, von ihren unvereinbaren Standpunkten rücken beide aber nicht ab.

 

Weltkarte

Bildnachweis: © Telefonaktiebolaget L. M. Ericsson

 

Ein Blick zurück: 1914 verzichtete Großbritannien auf der Konferenz von Shimla zwischen Großbritannien, Tibet und China auf die Ansprüche in Tibet und erklärte die McMahon-Linie zur Grenze zwischen Indien und China. Das Abkommen wurde aber von China nicht ratifiziert, weshalb es auch die McMahon-Linie nicht als Grenze anerkannte. Nach einer Phase freundschaftlicher Beziehungen in den 1950er-Jahren stiegen die Spannungen um die Grenzziehung wieder an. China war bereit, die McMahon-Linie als Grenze zu akzeptieren, falls Indien im Gegenzug die chinesische Hoheit über Aksai Chin akzeptierte. Indien akzeptierte jedoch nicht. Ab 1959 wurde die Region militärisch aufgerüstet. Am 20.10.1962 rückten chinesische Soldaten im östlichen Teil der Grenze über die McMahon-Linie auf indisches Territorium vor. Die indische Armee wurde überrumpelt. Am 21.11.1962 erklärte China einen einseitigen Waffenstillstand, den Indien de facto akzeptierte. Nach Beendigung der Kämpfe blieben rund 2.000 Tote.

1963 verbündete sich China mit Pakistan, das China in einem Grenzabkommen ein 4.500 km² großes Gebiet Kaschmirs überließ und was Indien, welches ganz Kaschmir für sich beansprucht, provozierte. Indien schloss im Gegenzug 1971 einen Freundschafts- und Beistandspakt mit der UdSSR.

 

Indien und Pakistan, China und Pakistan, Indien und Russland, China und Russland

 

Nachdem Russland Indien auch in den folgenden Jahrzehnten umfangreich mit Waffen versorgte und China in Pakistan seinen ökonomischen ,,Foodprint‘‘ massiv vertieft hat, scheint die politische Lage verkeilt. Denn im Kashmir hat Indien die Zügel angezogen, und in Belutschistan kämpfen die Belutschen für eine Unabhängigkeit von Pakistan, was den Interessen Chinas diametral entgegensteht. Denn China hat den Hafen Gwaddar massiv ausgebaut. Dieses ,,Monument pakistanisch-chinesischer Freundschaft‘‘ ist dabei ein Schlüsselelement des ,,China-Pakistan Economic Corridor (CPEC) und damit in Chinas ,,Grand Design‘‘ zur Kontrolle seiner Handelswege. Die Route soll dabei vom uigurischen ,,Hotspot‘‘, dem chinesischen autonomen Gebiet Xinjiang, durch Pakistan über den Hafen Gwaddar in den Persischen Golf gehen.

Eine 2014 erstellte Analyse der ,,US National Defence University‘‘ unter dem Titel ,,Chinese Overseas Basing Requirements in the 21st Century‘‘ betonte, dass sogenannte ,,Dual-Use Logistics Facilities‘‘, also sowohl zivil wie auch militärisch nutzbare Einrichtungen der chinesischen Außenpolitik am meisten nutzen würden. Dabei sei der Alliierte Pakistan ein idealer Standort für eine Militärbasis.

Der Hafen Gwadar erfüllt diese Kriterien, und die Analyse wurde noch realistischer durch chinesische Kommentare über die Einrichtung von ,,Overseas Strategic Support Bases‘‘, was den Ausbau Gwaddars zu einer ,,fully functional base… in Pakistan” sinnvoll erscheinen lässt.

 

Fazit

 

Hinter der Eskalation an der chinesisch-indischen Grenze stehen bedeutende Konfliktpotenziale, die sowohl geografisch als auch strategisch weit über die Grenzregion hinausreichen. Die Bedeutung Pakistans für Chinas große machtpolitische Strategie, die Rolle, deren Zuschreibung und die Identifikation Russlands in ihr spielen für das russisch-indische Verhältnis zudem einen nicht zu unterschätzende Rolle. Die Geschichte wie auch die aktuelle Asymmetrie der politischen Handlungsdynamik zeigt aber, dass China bislang strategisch die ,,dickeren Bretter‘‘ gebohrt hat, nicht nur in Pakistan. Eine waffentechnische Überlegenheit gegen und der Allianzbildungsdruck auf Indien lässt zudem neue Konfliktlinien erwarten, die auch Russland erreichen werden.

Wie empfänglich (oder auch nicht) Indien für eine ,,Containment 2.0-Strategie‘‘ der USA gegenüber China sein wird, ist derzeit völlig offen. Die aktuelle Lage mahnt jedoch zumindest eine politische Agenda an, bei der Indien sich nicht in einen breiteren militärischen Konflikt mit China hineinziehen lässt. Denn aus einer Position der Schwäche heraus eine ,,domestic driven foreign policy‘‘ zu betreiben, hat sich in der Geschichte Indiens bislang als jeweils schlechteste Politikoption erwiesen.

 

17.06.2020 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de

 

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