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Ambivalente Ansichten zum Urteil des BVerfG

Wohin schlingert die europäische Geld- und Verfassungspolitik?

NTG24 - Ambivalente Ansichten zum Urteil des BVerfG

 

Dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in der vergangenen Woche zur Rechtmäßigkeit von geldpolitischen Entscheidungen der EZB, aber auch zur zugehörigen Rechtsprechung des EuGHs war der europapolitische Aufreger der Woche. Hinzu kam, dass das BVerfG den deutschen Gesetzgeber und die Bundesregierung daran erinnerte, dass sie sich durch Nichtentscheidung nicht aus ihrer Verantwortung für die Wahrung des Wesenskerns der deutschen Verfassung stehlen können.

 

Mit Kanonen auf Spatzen schießen?

 

Nun haben die ersten deutschen Abgeordneten des EU-Parlaments davor gewarnt, Deutschland mit einem Vertragsverletzungsverfahren zu überziehen.

Denn ist dies denn das angemessene politische Mittel, die Verfassungskonflikte der EU zu lösen? Man kann sich leicht mildere Mittel dazu vorstellen, nämlich zum Beispiel die auch aus europapolitischer Sicht wünschenswerten, nun aber vom BVerfG geforderte höher Transparenz und Begründungslast bei geldpolitischen Entscheidungen europäischer Institutionen wie der EZB. Und mal ehrlich, ist es zu viel verlangt, dass man billionenschwere Ankaufprogramme der EZB besser begründet als bisher?

Bei der Empörung darüber, dass das BVerfG den EuGH rügt, sei daran erinnert, dass auch heute noch die Mitgliedsstaaten der EU die ,,Herren der Verträge‘‘ sind. Die EU ist kein Bundesstaat, und der machtpolitische Reflex in Brüssel, den Überbringer dieser als negativ und politische Gefahr bewerteten Nachricht zu bestrafen, erinnert an autokratische Zeiten. Sollte man in der EU noch mal über die Austrittsgründe Großbritanniens nachdenken?

 

EU

Bildnachweis: © EMH Service GmbH

 

Der europapolitische Beißreflex könnte deshalb ein Biss ins eigene Fleisch werden. Denn mit welcher Legitimation will man Deutschland die ihm und allen anderen Mitgliedsländern der EU zustehende Souveränität nehmen, den Kernbereich seiner Verfassung zu schützen. Denn die ,,Rechtsordnung eigener Art‘‘, die das EU-Recht darstellt, ersetzt auch heute noch nicht das geltende Verfassungsrecht der Einzelstaaten.

Der Einwurf von Kritikern des BVerfG-Urteils, dass europäisches Recht vor nationales Recht gehe und die EU über einen bloßen Staatenbund hinausgehe und sie zu einer echten Rechtsgemeinschaft macht, ersetzt nicht die Pflicht der Anerkennung der Quellen des EU-Rechts! Und das Totschlagargument, dass diese Rechtsgemeinschaft ein hohes Gut sei, das nicht gefährdet werden darf, verfängt deshalb eben auch nicht.

 

Wie war das mit der Rechtskultur?


Die Rückbesinnung auf den ,,Geist der Verträge‘‘ täte wohl vielen in der EU gut. Je früher dies wieder gewürdigt wird, umso geringer dürfte der Kollateralschaden ausfallen.

Dass EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen nun ankündigt, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zu prüfen, sollte deshalb ebenfalls Gegenstand einer Reflexion sein. Denn die Erinnerung daran, dass Kultur in einer Minimaldefinition geteilte Werte und Überzeugungen darstellt, zeigt, dass die Aufgaben eben vor allem auf EU-Ebene liegen. Die Ignoranz, die die europäische Rechtsprechung bislang gegenüber der deutschen Verfassungsrechtsprechung in der aktuellen Frage gezeigt hat, sollte deshalb nicht als zu teilende Überzeugung einer erstrebenswerten Rechtskultur angesehen werden.

 

Fazit

 

Der Diskussionsprozess über die Finalität hat mit dem Urteil des BVerfG in der letzten Woche einen neuen starken Impuls erhalten. Er ist Ausdruck einer Reibungsfläche, der ein Aushandlungsprozess über eine neue politische Befriedung unter Beachtung der berechtigten Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten folgen sollte. Dies wird wohl nun nach Jahren der Ignoranz in Brüssel und Luxemburg durch Vertragsverletzungsverfahren erreicht werden. Denn glaubt wirklich jemand, dass Deutschland ohne politischen und rechtlichen Widerstand bei der Aushöhlung des Kernbestandes seiner Verfassung zu schaut?

 

11.05.2020 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de

 

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