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Die EZB und der ,,Geist Europas''

Die EZB und die deutsche Verfassung

NTG24 - Die EZB und der ,,Geist Europas''

 

Nun wird also das nächste Sicherheitsnetz unter die Bankbilanz in der Europäischen Währungsunion gespannt. Zwar kauft die EZB noch keine Schrottanleihen direkt. Aber der Schritt dahin ist nicht mehr weit. Und man erinnert sich ja, wie das Gebot der Stunde lautet: ,,Not kennt kein Gebot!‘‘

Und die Not dürfte noch größer werden. Warum? Einige, die Deutschland vorwerfen, eine Schuldenvergemeinschaftung in der EU zu verhindern und damit den ,,Geist Europas‘‘ zu hintergehen, tun dies auch mit dem Hinweis auf den Status quo in Italien, Spanien, Portugal und Griechenland. Aber waren diese Schulden schon nicht schon vorher da und nur deshalb nicht am Zins für Staatsanleihen sichtbar, weil der EZB-Staubsauger diesen niedrig hielt?

Man fragt sich, wie es mit diesem Verständnis vom ,,Geist Europas‘‘ kompatibel sein kann, dass die Haftungsgemeinschaft explizit nach EU-Recht ausgeschlossen ist.

Dazu gibt es keine ehrliche und überzeugende Antwort. Wenn aber für EU-Recht gilt, dass es in der Not faktisch kaum noch etwas gilt, wie kann man dann erwarten, dass sich die Bürger daran halten, und noch wichtiger, den zum Schutz dieses Rechts gebildeten Institutionen jenes generalisierte Vertrauen entgegenbringen, was diese für deren Entscheidungsakzeptanz benötigen?

Man darf sich auch an die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum EU-Recht erinnern.

 

Solange 1, Solange 2, und so weiter...

 

Es blieb bei der Solange-1-Entscheidung 1974 zunächst dabei, dass der Vorrang sekundären Gemeinschaftsrechts seine Grenzen in den Grundrechten des Grundgesetzes findet.

„Solange der Integrationsprozess der Gemeinschaft nicht so weit fortgeschritten ist, dass das Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenen und in Geltung stehenden formulierten Grundrechtskatalog enthält, der dem Grundrechtskatalog des Grundgesetzes adäquat ist, ist nach Einholung der in Art. 234 EG geforderten Entscheidung des EuGH die Vorlage eines Gerichtes der Bundesrepublik Deutschland an das BVerfG im Normenkontrollverfahren zulässig und geboten, wenn das Gericht die für es entscheidungserhebliche Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in der vom EuGH gegebenen Auslegung für unanwendbar hält, weil und soweit sie mit einem der Grundrechte des Grundgesetzes kollidiert.“

Im Solange-2-Beschluß von 1986 änderte das Gericht seine Rechtsprechung zur Prüfung der Vereinbarkeit von Rechtsakten der EU mit der deutschen. Abweichend von der sogenannten Solange-1-Entscheidung stellte das BVerfG nun fest, dass der Rechtsschutz durch die Organe der EU, vor allem des EuGH, den Maßstäben der deutschen Grundrechte genüge, weshalb das Gericht im Regelfall keine eigene Prüfung durchführen müsse.

Seit dem Maastricht-Urteil von 1993 wird die Aufgabenverteilung zwischen dem Bundesverfassungsgericht und EuGH auch als Kooperationsverhältnis bezeichnet.

Es bleibt aber der Vorbehalt: Das BVerfG verzichtet auf die Ausübung seiner Rechtsprechung nur insoweit und nur solange, wie auf Gemeinschaftsebene ein ausreichender Grundrechtsschutz durch den EuGH generell gewährleistet ist und dieser Schutz den Wesensgehalt der Grundrechte und damit den vom GG gebotenen Mindeststandard generell verbürgt.

Das Maastricht-Urteil war für das Gericht Anlass klarzustellen, dass es sich vorbehält, im Einzelfall aufgrund von Verfassungsbeschwerden oder Organstreitverfahren zu überprüfen, ob ein Unionsrechtsakt von der Ermächtigungsgrundlage der Union gedeckt ist oder die Union sich außerhalb ihrer Ermächtigung (ultra vires) bewegt. Voraussetzung ist, dass das kompetenzwidrige Handeln offensichtlich und der Unionsakt erheblich ist. Zudem müsse der Unionsrechtsakt europafreundlich ausgelegt werden.

 

Wie viel unionsfreundliche Auslegung verträgt der Wesenskern der deutschen Verfassung?

 

Womit wir wieder bei der EZB und dem Wesensgehalt der EU insgesamt sind. Es geht natürlich hier um Geldpolitik. Aber wie schnell man sich in der Geldpolitik den Grundrechten der deutschen Verfassung nähert, zeigt ein Blick in die lange Liste von Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen europäischer Geldpolitik.

Im Lissabon-Entscheid von 2009 ist die „Verfassungsidentität“ der BRD in der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG geschützt. Das BVerfG weitete die Garantien damit über die dort explizit genannten Grundsätze hinaus aus und bezieht insbesondere das Wahlrecht nach Art. 38 GG als Kern des Demokratieprinzips ein. Aus dem Wahlrecht des einzelnen Bürgers ergäbe sich, dass die „demokratische Selbstgestaltungsfähigkeit“ des von den Bürgern gewählten Deutschen Bundestages nicht ins Leere laufen dürfe. Dies wäre dann aber gegeben, wenn die Bundesrepublik durch Unionsrechtsakte so weitgehend belastet würde, dass der Bundestag die „haushaltspolitische Gesamtverantwortung“ de facto nicht mehr ausüben könne. In der Entscheidung zu Outright Monetary Transactions (OMT-Vorlage) von 2014 bestätigte das BVerfG, dass es die Identitätskontrolle im Einzelfall wahrnehmen würde.

 

Fazit

 

Im Lichte der absehbaren Belastungen des Austritts Großbritanniens aus der EU, den Kosten der Flüchtlingskrise 2015 und nun dem wohl längerfristigen Dauerstress durch den Corona-Schock dürfte es für Deutschland nicht mehr lange dauern, bis der deutsche Haushalt ins Wanken gerät. Die Erpressungsversuche gegenüber Deutschland, aber auch der Niederlande, Österreich und Finnland könnten zum europapolitischen ,,Endgame‘‘ werden. Denn das Geld, was heute ausgegeben wird, muss in Zukunft erst noch erarbeitet werden. Wo beginnt denn da die staatsrechtliche Selbstbestimmung? Nein, auch in der Europapolitik heiligt der Zweck nicht die Mittel. Denn das steht nicht in der deutschen Verfassung. Wenn diese nicht mehr Maßstab des Handelns ist, wird es staatsrechtlich wie geldpolitisch wirklich eng.

 

27.04.2020 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de

 

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