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Nach der PPSP-Entscheidung des BVerfG

Codewort: AZ 2 BvR 859/15

NTG24 - Nach der PPSP-Entscheidung des BVerfG

 

Normalerweise äußern sich Verfassungsrichter außerhalb der Begründung abweichender Meinung in der Entscheidung nicht zu Urteilen.

Bei der in der vergangenen Woche verkündeten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist das anders. Das BVerfG hatte das Staatsanleihen-Kaufprogramm PSPP der Europäischen Zentralbank (EZB) für teilweise verfassungswidrig erklärt (Urteil vom 05.05.2020, Az. 2 BvR 859/15 u.a.).

Nun sah sich der Berichterstatter in diesem Verfahren, der Bundesverfassungsrichter Peter Huber, genötigt, der Süddeutschen Zeitung Erklärungen zu diesem Urteil zu geben und die Entscheidung zu verteidigen.

,,Wir haben Applaus von der falschen Seite bekommen, und die Kritiker haben entweder die Stoßrichtung nicht verstanden oder wollen sie nicht sehen‘‘, sagte Huber der Zeitung. Denn abweichend von der Leseart Polens oder Ungarns gehe es gerade nicht darum, den Europäischen Gerichtshof aus der Kontrolle der Institutionen herauszuhalten. ,,Wir wollen also mehr EuGH, wir wollen, dass er seinen Job besser macht‘‘, so Huber.

Das BVerfG hatte mit seinem Urteil vom 5. Mai das EZB-Kaufprogramm beanstandet und sich damit erstmalig über eine Vorabentscheidung des EuGHs hinweggesetzt. Dieser hatten den Käufen seinen Segen erteilt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen will deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland prüfen.

Der 2.Senat des Bundesverfassungsgerichts ist in der Entscheidung der Auffassung, dass die Zentralbank ihr Mandat für die Geldpolitik überdehnt und tatsächlich Wirtschaftspolitik macht. Huber dazu: ,,Das ist kein Verstoß gegen die Rechtsgemeinschaft, sondern ein
Rückgriff auf die rechtlichen Grenzen, die zu dieser Gemeinschaft gehören. Der Satz von EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, Europarecht gelte immer und ohne jede Einschränkung, sei ,,so gesehen, falsch‘‘.

 

Brandenburger Tor

Bildnachweis: © EMH Service GmbH

 

Huber warnte auch vor der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens. Dies würde die Sache eskalieren, ohne dass die Bundesregierung adäquat antworten könnte. Es wäre aus seiner Sicht das Beste, den Ball flach zu halten und zu überlegen, ob unser Urteil nicht doch ein paar richtige Punkte enthält.

Und zu diesen ,,paar richtigen Punkten‘‘ gehört der Kern der Kiste, nämlich die durch EU-Richterrecht verwischten Kompetenzgrenzen der EU und die Abgrenzung der im konkreten Fall der EZB zustehenden Währungspolitik zu der grundsätzlich den Mitgliedstaaten zustehenden Wirtschaftspolitik. Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung dürfen die EU und ihre Organe keine Maßnahmen ergreifen, die nicht von der Übertragung mitgliedstaatlicher Hoheitsrechte auf die EU gedeckt sind (Art. 5 Abs. 2 EUV). 

 

Wie kann die neue EU-Kommissionspräsidentin dann sagen, EU-Recht gelte immer?

 

Wenn es nämlich von seiner Ermächtigungsgrundlage nicht mehr gedeckt ist, ist es erst einmal rechtswidrig. Die Rechtsfortbildung durch EU-Richterrecht ist aber prozessual genau eine der schwersten Kritikpunkte des BVerfG an den EuGH!

Aus deutscher Verfassungssicht wird durch eine ausreichende Deckung durch eine Ermächtigung sichergestellt, dass die Grenzen der verfassungsrechtlich zulässigen Integration Deutschlands in die EU eingehalten werden. Dies gilt vor allem für die Wahrung der demokratischen Legitimation der in Deutschland ausgeübten Hoheitsgewalt. Diese darf bei der Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union und ihre Institutionen nicht abgegeben werden, sie stellt eine integrationsfeste Verfassungsidentität des Grundgesetzes dar (Art. 23 Abs. 1 Satz 3, 79 Abs. 3 GG). 

Wenn das die Bedingung der verfassungsgemäßen Integration Deutschlands in die EU sind, warum ignorieren die EU-Richter in Luxemburg dies, obwohl die schweren Bedenken der Richter des BVerfG bereits klar in der Vorlage zur Vorabentscheidung standen?!

Die Luxemburger Richter vergaßen das eine ums andere Mal wieder, dass sie keine Kompetenz-Kompetenz haben! Denn die EU und ihre Organe dürfen aus verfassungsrechtlicher Sicht nur im Rahmen der ihnen übertragenen Kompetenzen tätig werden und insbesondere keine neue Zuständigkeiten und Befugnisse eigenständig herleiten. Dies würde eine ,,Kompetenz-Kompetenz‘‘ erfordern, die diese aber nicht hat!

Es ist dabei zentrale Pflicht und Verantwortung der zuständigen deutschen Hoheitsträger, insbesondere der Bundesregierung und dem Bundestag, permanent zu prüfen, ob die  die EU und ihre Organe diese Grenzen einhalten. 

 

Womit wir wieder bei der Diskursethik sind. Ist diese bei der Arbeit von EU-Institutionen wie dem EuGH und der EZB zu viel verlangt?

 

Das oft beschworene ,,Kooperationsverhältnis‘‘, in dem EuGH und BVerfG ihre Rechtsprechung vor dem Hintergrund der Tatsache begrenzter Einzelermächtigungen der Mitgliedsstaaten ausüben, entpuppt sich im aktuellen Spannungsfall als Papiertiger.

Wie das BVerfG bereits in seiner Rechtsprechung zum Recht auf den gesetzlichen Richter dargelegt hat, geht es eben sehr wohl um eine dem Art.19 Abs.4 GG ,,im Wesentlichen gleichzustellende‘‘ europäische Version effektiven Rechtsschutzes.

Nur wie will der EuGH diesen sicherstellen, wenn er die Kriterien dafür im Grundsatz nicht anerkennen will?

 

Codewörter Subsidarität und Kooperation

 

Man kann durchaus die Frage stellen, ob der EuGH das Strukturprinzip der Subsidiarität hinreichend beachtet. Dies wäre dann eine der Kritiken, die Richter Huber anspricht. Vielleicht sollte man am EuGH die Art, wie man die eigene ultra-vires Rechtsprechung handhabt, noch einmal überdenken. Der Reflex auf das deutsche Urteil aus Luxemburg am vergangenen Freitag war halb zu erwarten, aber gleichwohl ebenso ungewöhnlich wie die Ausführungen von Richter Huber heute.

Dem EuGH ging die Kritik des BVerfG ganz offensichtlich zu weit. Er teilte deshalb schriftlich mit, nur er und er alleine könne darüber urteilen, ob eine EU-Institution europäisches Recht gebrochen habe oder nicht. ,,Unterschiedliche Ansichten der Gerichte in den Mitgliedsstaaten über die Rechtmäßigkeit solcher Vorgänge würden die Einheit der europäischen Rechtsordnung gefährden und die Rechtssicherheit untergraben." Dem Bundesverfassungsgericht und allen anderen Gerichten in den Mitgliedsstaaten hielt der EuGH vor, sie seien verantwortlich dafür, europäisches Recht und damit auch die Urteile aus Luxemburg vollständig anzuwenden.

Wie war das mit dem Hinweis, den Ball flach zu halten? Vielleicht sollte der EuGH ja einfach mal in den Spiegel zu schauen?

Der verfassungsrechtliche Legitimations-Stresstest des EuGHs nähert sich.

 

13.05.2020 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de

 

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Bewertungen, Kommentare und Fragen an den Redakteur

 

  • Eller - 13.05.2020 23:20:40 Uhr

    Gut herausgearbeitet


 

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