Kann der Ölpreis seinen langfristigen Abwärtstrend überwinden?
WTI-Öl unter der Chartlupe
Der jüngste deutliche Anstieg des Ölpreises wirft die Frage auf, ob dies überwiegend auf realökonomische Faktoren zurückgeführt werden kann oder ob mehr Faktoren, die ihren Ursprung in den Finanzmärkten haben, die wesentlichen Treiber dieser Entwicklung sind.
Dass es darauf keine schnelle Antwort geben kann, haben wir in unserem Beitrag vom 05.01.2021 ,,OPEC+, Iran, Russland – was macht der Ölpreis?‘‘ bereits skizziert. Den die Asymmetrien von inländischer Verfügbarkeit und inländischem Verbrauch
führen zu einer Asymmetrie und zu langfristigen Abhängigkeiten in der Energieversorgung insbesondere Chinas, welche sich nicht innerhalb von ein paar Monaten ausgleichen lassen. Diese führen in der Folge zu einem individuellen Versorgungskalkül,
welche, nicht nur in China, neben energiestrategischen Fragen auch solche sicherheitspolitischer Natur aufwerfen.
In Europa, wo (noch) eine massive Abhängigkeit von seltenen Erden von China besteht, ist für die EU die Situation bei anderen Rohstoffen wie seltenen Erden also vergleichbar, was die chinesische Position etwas verständlicher machen könnte.
Wie stark die Ölpreisschwankungen auf die eigenen Terms of Trade von Staaten zurückwirken können, zeigt auch das Beispiel Japans nach dem Unfall im Atomreaktor Fukushima. Nach Abschalten der inländischen Atomreaktoren explodierte der Import von
Öl und damit auch die externe Energierechnung Japans, was einen bedeutenden Anteil des damaligen Außenhandelsüberschusses aufzehrte.
Aus diesen Beispielen wird deutlich, wie zentral die Ölversorgung und der Ölpreis für die volkswirtschaftliche Entwicklung und im Ergebnis auch als Einflussfaktor für die Währungsentwicklung auf freien Devisenmärkten ist.
Nachdem wir zuletzt auf die Ölsorte Brent einen Blick warfen, soll heute die US-Ölsorte WTI (Western Texas Intermediate) im Fokus stehen.
Chart 1 zeigt wie ein EKG einen regelrechten Herzinfarkt für den Ölpreis während der ersten Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020, bei der sogar der Ölpreis für einige Sorten in den USA kurzfristig tief in den Negativbereich rutschte.
Durch die Kürzungen der in der OPEC+ vereinten Ölförderländer wurde nach dem Nachfrageschock das Angebot gesenkt und so der Ölpreis nach einem Ausverkauf im April 2020 stabilisiert. Und in einer ersten Aufwärtsbewegung robbte sich der Ölpreis für
die Sorte WTI bis August 2020 wieder in Richtung seines Widerstandes von rund 42 US-Dollar. In einem weiteren Schritt überwand er im November auch diese Marke, um im Anschluss Anfang Januar 2021 auch den starken statischen Widerstand bei rund 50 US-Dollar zu knacken.
Inzwischen nähert sich der von erstaunlicher Robustheit gekennzeichnete Ölpreis seinem langfristigen Abwärtstrend, wie Chart 2 zeigt.
Hinzu kommt nun, dass der WTI-Ölpreis inzwischen auch sein Niveau von vor dem Corona-Schock bereits wieder überschritten, was die Frage aufwirft, ob diese Entwicklung realökonomischer Natur ist oder eher andere Bestimmungsgründe hat.
Denn angesichts der anhaltenden massiven geldpolitischen Interventionen und der anhaltend defizitären Fiskalpolitik scheint der Ölpreis nicht nur und vielleicht gar nicht vordergründig auf eine boomende US-Wirtschaft zu reagieren, sondern auf die zunehmenden Inflations-Spill-over-Risiken von durch Staatsschulden finanzierten Transfereinkommen an den US-Verbraucher.
Dass die vergangenen Jahre kaum Inflation zeigten, sollte dabei wenig verunsichern. Denn die Änderungen der Inflationserwartungen haben ihre eigene Dynamik.
Vor diesem Hintergrund wäre ein Überwinden des in Chart 2 sichtbaren langfristigen Abwärtstrends bei WTI ein Signal dafür, dass das Öl auf einen Schwund von Vertrauen in den US-Dollar reagieren könnte. Und dies hat weniger mit der realen Versorgung mit Öl als mit der Recheneinheit für seinen Handel zu tun.
Fazit
Die Annäherung des Ölpreises an seinen langfristigen Abwärtstrend hat wohl mehrere Treiber, die möglicherweise gleichzeitig wirken, in ihrer Einflussstärke aber variabel sind. Vor dem Hintergrund anziehender Inflationserwartungen ist es wahrscheinlich, dass diese als Einflussstärke auf den Ölpreis gewinnen werden. Sollte dazu noch militärische Konflikte kommen, könnte der bereits deutlich erstarkte Ölpreis noch einige Überraschungen für die Marktteilnehmer bereithalten.
09.02.2021 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de
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