als .pdf Datei herunterladen

Der Seiltanz des Vertrauens

Ein Marktbericht von Arndt Kümpel

 

Diese Woche war es wieder einmal so weit. In den USA übertraf die Wachstumsquote des Bruttoinlandsprodukts mit einer Jahresrate von 3,2 % so ziemlich alle seriösen Prognosen und ließ Europa alt aussehen. Man reibt sich wirklich die Augen, wenn man die Umstände näher betrachtet, unter denen diese Zahl erreicht wurde, und man reibt sie sich noch viel mehr, wenn man die Forderungen der US-Regierung hört, die US-Notenbank solle die Zinsen um 1 % senken. Warum sollte man in einer Wirtschaft mit mehr als 3 % Wachstum die Zinsen senken?

Es ist klar, dass die Fragilität des Wachstums ein reales Risiko für die Wiederwahl von Donald Trump als US-Präsident ist. Wie fragil dieses Wachstum inzwischen ist, macht ein Blick auf wesentliche Wachstumskomponenten deutlich.

Zunächst kann man mit einigem Recht die Frage aufwerfen, ob es bezüglich der Aussagekraft der BIP-Zahlen durch die Regierung ein Principle-Agent-Problem gibt, da die Regierung zuletzt einen signifikanten Teil des Wachstums am BIP ausmachte. Und während der Anteil der privaten Konsumenten am US-BIP 72 % ausmacht, trugen diese im 1. Quartal 2019 nur noch 22 % zum BIP-Wachstum der USA bei!

Die U3-Arbeitslosenquote der USA für April fiel auf den niedrigsten Stand seit Dezember 1969 und passte mit 3,58 % auf den ersten Blick prima zum Wachstum von 3,2 % im 1. Quartal 2019. Jedoch wurden vor allem saisonale Stellen im Bausektor, niedrig bezahlte Servicestellen im Privatsektor, im Gesundheitsbereich inklusive der Sozialdienste, in der Landschaftsgestaltung sowie im kommunalen Bereich geschaffen, während das Jobwachstum in der klassischen Wertschöpfungskette wie Produktion, Handel und Transport kaum noch messbar war.

Der US-Arbeitsmarkt zeigte auch an anderer Stelle Risse in der glatten Oberfläche. Trotz eines 50-Jahres-Tiefs bei der offiziellen Arbeitslosenquote fiel die Beteiligungsquote am US-Arbeitsmarkt (Labor Participation Rate) wieder auf 62,8 %. Zudem ging der Rückgang der U3-Arbeitslosenquote auf 3,58 % mit einem Rückgang der Größe des offiziellen Arbeitskräftepools einher, der um 490.000 auf 162,47 Millionen sank. Warum aber eigentlich, wenn die Wirtschaft brummt und die Bevölkerung wächst? Und kaum beachtet werden auch jene 95 Millionen US-Bürger im erwerbsfähigen Alter, die zu lange arbeitslos sind, um Sozialleistungen zu erhalten, und deshalb nicht als arbeitslos gezählt werden. Zusammen mit den offiziellen Arbeitslosen sind das ca. 102 Millionen US-Bürger!

Dazu passt auch die Nachricht in dieser Woche, dass die Arbeitsproduktivität in den USA im 1. Quartal 2019 um 3,6 % gegenüber dem Vorquartal gestiegen ist. Dies ist auf Quartalsbasis der stärkste Anstieg seit dem dritten Quartal 2014 und auf Vorjahresbasis seit dem 3. Quartal 2010. Kehrseite und wesentlicher Grund: Die Lohnstückkosten sanken gegenüber dem 4. Quartal 2018 um 0,9 %. Der durchschnittliche Nominallohn stieg um 2,6 %, die Arbeitsstunden wuchsen aber nur um 0,5 %. Und das, obwohl die Produktion um 4,1 % im Berichtsquartal zulegte. Zuvor veröffentlichte Daten für März 2019 zeigen denn auch, dass das reale mittlere Haushaltseinkommen den zweiten Monat in Folge zurückging. Wen wundert es also, dass der Stress der Konsumenten steigt? Die Forderung von US-Präsident Trump, die Zinsen möglichst schnell wieder zu senken und damit eine leichtere Verschuldung für die Konsumenten zu ermöglichen, um damit nicht erzieltes Lohneinkommen im Konsum auszugleichen, liegt deshalb aus seiner Sicht nahe, ist aber letztendlich nur ein weiteres Stück verfrühstückter Zukunft.

Aber da ist noch eine weitere wichtige Komponente des BIP. Die Investitionen zur Aufrechterhaltung oben erwähnter Produktivität sind essenziell für das nachhaltige Wachstum einer Volkswirtschaft. Umso wichtiger ist der Umstand, dass die Wachstumsrate der Nettoinvestitionen des Privatsektors als Anteil am Nettoinlandsprodukt im 1. Quartal 2019 praktisch zum Stillstand gekommen ist. Dies bedeutet zwar noch keine akute Rezessionsgefahr, wirft jedoch einen Schatten auf künftiges (geringeres) Wachstum. Während nach dem Amtsantritt Präsident Trumps vor allem der Öl- und Gassektor investierte, ist es seit September 2018 vor allem der Rüstungssektor. Keine wirklich vertrauensbildende Entwicklung, mal von den Folgen des Einsatzes dieser Rüstungsgüter ganz abgesehen.

Vor dem Hintergrund dieses Datenkranzes kommt der Aufmerksamkeitssteuerung des Marktes eine exorbitante Bedeutung zu, was den dramatischen Aufstieg von Nudging-Strategien in privaten wie staatlichen Medien gut erklärt.

Und das Gezerre um die Bedeutung der erstveröffentlichten Wirtschaftszahlen zeigt auch, dass sich die politische Steuerung des Vertrauens in die Wirtschaft vor allem auf die Bildung von vertrauensbildenden Narrativen konzentriert und kaum auf ihre widerspruchsfreie Erklärung. Dazu tragen die systematische Nichtbeachtung der Revision von Wirtschaftszahlen zu einem späteren Zeitpunkt bei. Die zu der suggerierten Bedeutung der erstveröffentlichten Zahlen konträr liegenden Forderungen nach geldpolitischem Stimulus sowie die immer niedrigere Risikoschwelle des neuen  ,,Gleichgewichtszinses‘‘ lassen einen Kontrollverlust der Notenbank und der haushaltssteuernden Staatsorgane erkennen und dessen Verstärkung erwarten. Die asymmetrische Bevorteilung von Kapitalvermögen durch die extreme Zinspolitik als Antwort auf die Krisen der vergangenen 35 Jahre hat nicht nur die Gesellschaften gespalten, sondern das 5000-jährige Zinstief hat auch zu einer Unfinanzierbarkeit der aufgebauten Zahlungsansprüche in den entwickelten Ökonomien insgesamt geführt.

Aus dieser Sicht erlangt die Sicherung der Kaufkraft privat angesparter Vorsorge eine doppelte Bedeutung ein: Als die (Teil-) Deckung einer wachsenden privaten Finanzierungslücke im Alter und als Vorsorge gegen das zunehmende Risiko, dass sozialrechtliche Zahlungsansprüche versicherungsmathematisch und sozialpolitisch immer schwerer zu leisten sind! Der langjährige US-Notenbankchef Alan Greenspan, einer derjenigen, die wesentlich zur Entstehung dieser zinspolitischen Zwangslage in den USA beigetragen haben, betont inzwischen seit Jahren die Gefahr der Unfinanzierbarkeit der ,,sozialrechtlichen Anwartschaften‘‘ und das Risiko, dass deren Finanzierung Kapitalinvestitionen verdrängen könnte.

Fazit: Der Kapitalanleger sollte sich die Konsequenzen dieser explosiven Gemengelage für seine Investitionen ebenso vergegenwärtigen wie die vielen staatlichen Lösungen für historisch ähnliche Situationen, die meistens zu seinen Lasten gingen! Die dadurch erreichte gedankliche Fliehgeschwindigkeit sollte dann reichen, um der Anziehungskraft vorsätzlich falsch gesetzter Narrative zu entfliehen. Das Vertrauen, was hierfür vonnöten ist, ist vielmehr das Vertrauen in sich selbst als geborgtes Vertrauen in Versprechungen Dritter.

 

05.05.2019 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de





Ihre Bewertung, Kommentar oder Frage an den Redakteur


Bitte geben Sie die Anzahl der unten gezeigten Eurozeichen in das Feld ein.
>

 



Bewertungen, Kommentare und Fragen an den Redakteur

 

 

Haftungsausschluss - Die EMH News AG übernimmt keine Haftung für die Richtigkeit der Empfehlungen sowie für Produktbeschreibungen, Preisangaben, Druckfehler und technische Änderungen. (Ausführlicher Disclaimer)