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Die Corona-Brücke der EU zur Staatsqualität

Die Europäische Union und das Coronavirus

NTG24 - Die Corona-Brücke der EU zur Staatsqualität

 

Nachdem sich am frühen Dienstagmorgen die EU-Staaten auf gemeinsame Maßnahmen im Kampf gegen die Corona-Krise geeinigt hatten, hatte sich die EU qualitativ verändert.

Ob sie dies zukunftsfähiger macht, was sich durch jede Seite der vielen Programmpunkte des Ausgabenplanes zieht, wird sich weisen. Einstweilen war der Schmerz der Geburtswehen, die immerhin im Endstadium 4 Tage währten, der Größe des Neugeborenen angemessen. Denn die EU hatte sich auf das größte Finanzpaket in ihrer Geschichte verständigt.

Die Einigung hat einen Umfang von insgesamt rund 1,8 Billionen Euro und sieht vor, dass die besonders schwer von der Corona-Pandemie betroffenen EU-Staaten mit einem 750 Mrd. Euro schweren Aufbaufonds konjunkturell gestärkt werden. 390 Mrd. Euro davon werden als Zuschüsse gezahlt, 360 Mrd. Euro als Kredite.

Interessant und entscheidend für eine Einigung war, dass die deutsche Bundeskanzlerin sich auf die Seite der Südländer schlug. Dadurch wurde eine gemeinsame Position mit dem französischen Präsidenten möglich.

 

EU

Bildnachweis: © EMH Service GmbH

 

Der Corona-Aufbaufonds wurde zwar beschlossen, jedoch bleiben die Zweifel an der Rechtmäßigkeit aufseiten der Niederlande, Österreichs, Schwedens und Dänemarks bestehen. Denn es gilt bislang ein Verschuldungsverbot für die EU, welches nun mit dem Corona-Paket durchbrochen wurde.

Zwar lassen Art. 352 und Art. 122 des EU-Vertrages finanzielle Engagements im Geiste der Solidarität zu. Die Bedingungen für seine Rechtmäßigkeit sind aber nicht geklärt. Es könnte also durchaus dazu kommen, dass der Europäische Gerichtshof entscheiden muss, ob der Corona-Wideraufbaufonds nach EU-Recht rechtmäßig ist.

Parallel zu dem Wiederaufbaufonds wurde der EU-Haushaltsrahmen von 2021 bis 2027 mit einem Umfang von über 1 Bio. Euro beschlossen.

 

Nord gegen Süd, Ost gegen West

 

Die nördlichen EU-Staaten Dänemark und Schweden sowie Österreich und die Niederlande hatten die Auszahlung der Milliardenhilfen des Wiederaufbaufonds von Bedingungen abhängig gemacht, die die südlichen EU-Staaten wie Italien und Spanien zuvor abgelehnt hatten. Die jetzt erzielte Einigung sieht vor, dass die EU-Kommission, nationale Regierungen und EU-Rat zusammen über die Auszahlung entscheiden.

Außerdem musste der Konflikt zwischen den östlichen EU-Mitgliedern Ungarn und Polen und dem großen Rest über die Fixierung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit an die Auszahlungen aus dem EU-Haushalt gelöst werden.

Der nun gefundene Kompromiss sieht vor, dass das Rechtsstaatsprinzip im Zusammenhang mit EU-Zahlungen betont wird, letztlich jedoch erst einmal die EU-Kommission den Auftrag erteilt, genaue Vorschläge vorzulegen, wie man die Prinzipien einhalten kann. De facto ist damit der Streit vertagt worden.

Die EU-Regierungschefs beschlossen des Weiteren, dass die EU eigene Steuereinahmen erhält. Ab dem 01.01.2021 soll eine Plastiksteuer eingeführt werden.

Zur Refinanzierung der Mittel in dem neuen Corona-Wideraufbaufonds soll die EU Schuldverschreibungen herausgeben.

Bedingung für diese Einigung war, dass die ,,sparsamen‘‘ Nordländer Ihren Widerstand gegen die Verschuldung auf EU-Ebene aufgaben. Die EU-Schulden des Wiederaufbaufonds sollen bis 2058 zurückgezahlt werden. Nach der Einigung auf dem EU-Gipfel muss nun die Zustimmung des Europäischen Parlaments eingeholt werden. Danach müssen die nationalen Parlamente zustimmen.

Ist dies nun ein erster großer Schritt hin zur Staatsqualität der EU? Wer sind die Herren der Verträge und wie war das mit dem Demokratieprinzip? Wenn man die Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts von Anfang Mai 2020 liest (Urteil vom 05.05.2020, Az. 2 BvR 859/15 u.a.), so dürfte hier noch einiger rechtsstaatlicher Sprengstoff warten, auch wenn für den konkreten Fall die Beteiligten eine geräuschlose Antwort gefunden haben.

 

Fazit

 

Die EU wurstelt sich weiter in Richtung Haftungsgemeinschaft und Schuldenunion. Das juristische Brecheisen für diesen Schritt war die Corona-Pandemie. Das neue Macht- und Stimmenverhältnis innerhalb der EU-Mitgliedsländer hat Zeit zulasten der Kohärenz erkauft. Wenn sich der mediale Nebel der Corona-Krise lockert, wird man eine neue EU vor sich haben. Ob dies die Wirtschaft auf einen nachhaltigen Wachstumspfad führt, ist offen. Der kurzfristigen Linderung der ökonomischen Corona-Schäden in Südeuropa stehen wachsende Zweifel an der Nachhaltigkeit des politischen Entwicklungskonzeptes gegenüber. Man wird an der Entwicklung des Euros gegen den Schweizer Franken verfolgen können, was der Markt zu dieser Entwicklung denkt.

Einstweilen wirken die monetären Reserveantibiotika der EZB bei der Geldpolitik, denn die Aufschläge italienischer und spanischer Staatsanleihen gegenüber deutschen sind weiter ungewöhnlich niedrig. Man darf hier auf einen neuen geldpolitischen Stresstest gespannt sein. Und was die EU als politische Union angeht, so steht der nächste Test bereits bevor. Denn eine zweite Corona-Infektionswelle und neue administrative Maßnahmen könnten die Rechnung, die man mit dem aktuellen Wiederaufbau-Programm bezahlen will, schnell als Fehlkalkulation erscheinen lassen.

 

22.07.2020 - Arndt Kümpel - ak@ntg24.de

 

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