Ist einer inversen Zinsstruktur noch zu trauen?
Müssen bisher zuverlässige Indikatoren neu bewertet werden?
Wie hoch ist die tatsächliche Wahrscheinlichkeit einer Rezession? Seitdem in den USA der Spread zwischen den zweijährigen und zehnjährigen US-Staatsanleihen ins Negative gedreht hatte, schwebt diese Frage über den Märkten wie das Schwert des Damokles. Negative Spreads in anderen Laufzeitvergleichen hatten wir bereits an dieser Stelle diskutiert, doch mit dem Vergleich von 2- zu 10-jährigen haben wir hier erstmals seit 2007 einen negativen Zinsunterschied.
Sie wissen: Eine inverse Zinsstruktur gilt als Indikator für eine mögliche Rezession. Die Begründung: Wenn Konjunktursorgen zunehmen, suchen Anleger nach sicheren Anlagen und stecken ihr Geld lieber in länger laufende Anleihen, was deren Rendite entsprechend drückt. Dabei zeigt der Bliick auf die Statistik: In der Vergangenheit war eine solche inverse Zinsstruktur äußerst zuverlässig tatsächlich ein Vorbote einer Rezession.
Zinsstruktur ist neuen Einflüssen unterworfen
Kann dieser historisch recht zuverlässige Indikator auch heute noch die richtigen Signale geben? Zumindest sind Zweifel angebracht. Denn die heutige Zinsstruktur ist auch ein Ergebnis massiver Markteingriffe durch die jeweiligen Notenbanken. Erkennbar sind dabei verschiedene Mechanismen je nach Markt. So konnten sich die langfristigen Renditen in den vergangenen Jahren weit weniger stark erholen wie es in den Jahrzehnten zuvor in solchen Phasen der Fall war. Denn durch die zurückhaltende Geldpolitik der Notenbanken fielen in den kurzen und mittleren Laufzeiten die erzielbaren Renditen nach wie vor mager aus, sodass ein Anlagenotstand entstand und viele Anleger auf der Suche nach halbwegs vernünftigen Renditen immer längere Laufzeiten kauften. Folge:
Die US-Zinskurve sendet ein falsches Signal. Grund dafür ist die extrem niedrige Laufzeitprämie, also der geringe Renditeaufschlag von längerfristigen Anleihen. Die Laufzeitprämie ist so tief wie zuletzt vor sechzig Jahren. Weil Staatsanleihen wie deutsche Bunds oder „Eidgenossen“ sogar am langen Ende eine negative Rendite aufweisen, sind sie unattraktiv und drängen Investoren dazu, US-Treasuries zu kaufen. Die Zinskurve ist quasi künstlich geschaffen.
Denn auch die Fed hat ihren Teil dazu beigetragen, eine inverse Zinsstruktur zu provozieren. Mit dem Versuch, sich im Vorfeld neuer möglicher Krisen Spielraum zu erarbeiten, hatte sie seit Dezemeber 2015 insgesamt neun Zinserhöhungen durchgeführt und damit für erheblichen Renditedruck am kurzen Ende gesorgt. Das wurde schon im letzten Jahr mit heftigen Diskussiuonen begleitet, ob die Fed nicht über das Ziel hinausgeschossen sei.
Welche Folgen gibt es für die Realwirtschaft?
In Folge des Handelskrieges zwischen den USA und China und den aufziehenden Streitigkeiten mit Europa haben sich die konjunkturellen Rahmenbedingungen zunehmend eingetrübt. Das signalisieren derzeit die Konjunkturindikatoren. Doch solche politisch ausgelösten Wachstumsbremsen können theoretisch schnell aufgelöst werden, ohne dass es zwangsläufig zu einer Rezession kommt. So ist die aktuelle Invertierung der Zinskurve zwar ein Warnsignal, in ihrer Aussagekraft aber wohl eher beschränkt.
Das echte Risiko besteht erst, wenn die inverse Zinsstruktur Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat. Besonders die Banken stehen da im Risiko. Denn deren Geschäftsmodell basiert auf der sogenannten Fristentransformation. Sie leihen sich kurzfristige Gelder zu niedrigeren Zinsen und vergeben diese über längerfristige Kredite mit höheren Zinsen. Die daraus entstehenden Zinsspreads sind ihr Gewinn, der bei einer inversen Zinstruktur nicht vorhanden ist oder sich sogar ins Gegenteil umkehrt. Das würden wohl viele Banken damit abfedern, indem sie ihr Kreditgeschäft herunterfahren, was dann negativen Einfluss auf privaten Konsum und Unternehmensinvestitionen hätte. Und dann wäre der konjunkturelle Abschwung bis hin zu einer Rezession wohl kaum noch zu vermeiden.
Fazit
Die Sorgen über die weiteren konjunkturellen Tendenzen sind durchaus berechtigt, aber noch nicht entschieden. Hier könnte sich erneut zeigen, dass die US-Notenbank vielleicht den entscheidenden Spielraum im Vorfeld geschaffen hat, um ein „Soft Landing“ der Wirtschaft zu begleiten. Für Europa dürfte es dies weitaus schwieriger werden, denn die EZB hat ihr Zinsinstrument faktisch verloren.
27.08.2019 - Carsten Müller - cm@ntg24.de
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