
BFH zur Zugangsvermutung bei eingeschränkter Postzustellung -Keine Ausnahme bei unregelmäßiger Zustellpraxis
BFH Urteil v. 20.2.2025, VI R 18/22
Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, als am dritten Tag nach Aufgabe zur Post bekanntgegeben, sofern er im Inland versendet wurde. Diese sogenannte Dreitagesfiktion kann jedoch entkräftet werden, wenn der Steuerpflichtige substantiiert darlegt, dass der Verwaltungsakt erst später zugegangen ist.
2. Streitfall: Zugang eines Steuerbescheids an einem zustellfreien Montag?
Im Streitfall hatte das Finanzamt am Freitag, den 15.06.2018, einen Einkommensteuerbescheid versendet. Die Klägerin, die bis zum 18.06.2018 ortsabwesend war, fand den Bescheid am Morgen des 19.06.2018 in ihrem Briefkasten. Der Einspruch erfolgte am 19.07.2018. Das Finanzamt verwarf ihn als verspätet, da es vom Zugang am Montag, dem 18.06.2018, ausging. Das Finanzgericht gab der Klage statt und verneinte die Anwendung der Zugangsvermutung, weil die Postzustellung im Wohngebiet der Klägerin nicht an allen Werktagen erfolgte.
3. Entscheidung des BFH: Revision erfolgreich – Zugangsvermutung gilt
Der BFH (Urteil vom 20.02.2025 – VI R 18/22) hob das Urteil des FG auf. Die Zugangsvermutung sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil der vom Finanzamt beauftragte Postdienstleister an einem oder zwei Werktagen innerhalb der Dreitagesfrist keine Zustellung vornehme.
a) Zugangsvermutung auch bei eingeschränkter Zustellung gültig
Die gesetzliche Vermutung gelte auch dann, wenn der Zustellbetrieb – wie hier – nur an fünf Werktagen und nicht am Samstag arbeitet oder zwei aufeinanderfolgende Tage (Samstag und Sonntag) keine Zustellung stattfindet. Eine bloß verringerte Wahrscheinlichkeit des Zugangs reiche nicht aus, um die gesetzliche Vermutung auszuschließen.
b) Substantiiertes Bestreiten des Zugangs ist erforderlich
Der Steuerpflichtige muss nach ständiger Rechtsprechung substantiiert Tatsachen vortragen, aus denen sich ein ernstlich möglicher abweichender Geschehensablauf ergibt. Ein einfaches Bestreiten reicht nicht aus. Entscheidend sei, ob konkrete Umstände dargelegt wurden, aus denen sich ein späterer Zugang mit Wahrscheinlichkeit ergibt.
Im konkreten Fall fehlte es an einem solchen Vortrag. Weder konnte die Klägerin den Zugang am Montag, dem 18.06.2018, ausschließen – da sie ortsabwesend war – noch hatten die von ihr beauftragten Personen konkrete Angaben zum Leerungszeitpunkt gemacht.
c) Keine automatische Beweislastumkehr zulasten des Steuerpflichtigen
Der BFH betont jedoch, dass das Erfordernis eines substantiierten Vortrags nicht zu einer Beweislastumkehr führen darf. Wenn plausible und konkrete Zweifel am Zugang innerhalb der Dreitagesfrist bestehen, verbleibt die Beweislast für den Zugang bei der Finanzbehörde.
4. Relevanz: Dreitagesfiktion gilt weiter – auch bei eingeschränkter Zustellung
Der BFH stellt klar: Die Tatsache, dass ein Postdienstleister nicht an allen Werktagen zustellt, berührt nicht die generelle Anwendbarkeit der Zugangsvermutung nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO. Die Dreitagesfiktion gilt auch dann, wenn keine Zustellung an Samstagen oder an zwei aufeinanderfolgenden Tagen erfolgt.
5. Ausblick: Ab 2025 gilt Viertagesfrist
Durch das Postrechtsmodernisierungsgesetz (PostModG) wurde § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO geändert. Für Verwaltungsakte, die ab dem 01.01.2025 zur Post gegeben werden, gilt nun eine Viertagesfiktion. Die hier entwickelten Grundsätze bleiben dennoch weiterhin sinngemäß anwendbar.
26.05.2025 - Daniel Eilenbrock
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