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WTO-Streitschlichtung im Konflikt

Stellt die Ernennung einer neuen WTO-Generalsekretärin eine Chance gegen die Blockade der Revisionsinstanz dar?

NTG24 - WTO-Streitschlichtung im Konflikt

 

Der Streitschlichtungsapparat der Welthandelsorganisation (WTO) befindet sich derzeit in einer Krise. Weil die Vereinigten Staaten in der Vergangenheit die Ernennung neuer Richter zum Standing Appellate Body (SAB), der eigenständigen Berufungsinstanz des Streitschlichtungssystems der WTO, blockiert hatten, ist dieser nun handlungsunfähig. Folglich ist es derzeit nicht möglich, Entscheidungen der erstinstanzlichen Panels der WTO einer erneuten richterlichen Kontrolle zu unterziehen.

Insbesondere in der durch die Corona-Pandemie ausgelösten und nun vollkommen asymmetrisch und unvorhersehbar verlaufenden Wirtschaftskrise ist ein funktionierendes Streitbeilegungssystem jedoch elementar, um die verschiedensten Interessenkonflikte adäquat zu lösen.

 

Erfrischende Personalie

 

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Werbebanner ISIN-WatchlistNeue Hoffnung macht dabei nun die Ernennung einer neuen WTO-Generalsekretärin, welche die seit nunmehr 20 Jahren anhaltende Blockade lösen könnte. Maßgeblich für die Ernennung war, dass die neue Biden-Administration schon im Februar 2021 die Blockade der Bestimmung eines Nachfolgers für den Brasilianer Robert Azevêdo aufgegeben hat. Ngozi Okonjo-Iweala, eine aus Nigeria stammende Wirtschaftsexpertin, hat nach ihrer einstimmigen Ernennung zum ersten Mai ihr Amt angetreten. Die 66 Jahre alte Ökonomin ist nicht nur die erste Afrikanerin, sondern auch die erste Frau im Amt. Sie war zuvor zwei Mal Finanzministerin von Nigeria und arbeitete 25 Jahre lang bei der Weltbank, wo sie von 2007 bis 2011 als geschäftsführende Direktorin die zweithöchste Position im Unternehmen bekleidete.

Okonjo-Iweala hat wiederholt betont, dass sie sich der Aufgabe der Wiederbelebung des SAB annehmen und eine Regelung finden möchte, der alle Mitgliedstaaten zustimmen können.

 

Immense Interessenkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten

 

Ob die neue Generalsekretärin tatsächlich die Chance haben wird, die Krise des Streitschlichtungsapparates zu beenden, wird jedoch teilweise kritisch betrachtet.

Grund für die Blockade ist nämlich ein objektiver Interessenkonflikt. Die vier Wirtschaftsgroßmächte USA, EU, Japan und Kanada können sich seit dem Beitritt Chinas zur WTO im Jahr 2001 nicht mehr durchsetzen. Mit zunehmender Komplexität der politisch-wirtschaftlichen Beziehungen droht sich der Konflikt in Zukunft weiter zu intensivieren.

 

Bedeutung des Streitbeilegungssystems der WTO

 

Die Streitbeilegung im Bereich von internationaler Wirtschaft und Handel ist eine der Hauptfunktionen der dem General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) nachfolgenden WTO. Während bei der GATT-Streitschlichtung noch das Consensus-Prinzip galt, also das Ergebnis einer Schlichtung von allen Mitgliedern angenommen werden musste, um bindend zu werden, gilt in der WTO seit 1995 das gegenteilige Prinzip: dem reversed Consensus-Prinzip folgend wird grundsätzlich jedes Schlichtungsergebnis bindend, es sei denn, alle Mitglieder lehnen es einstimmig ab.

Die Berufungsinstanz des WTO-Streitschlichtungsapparates soll diese immense Bindungswirkung abmildern. Der nach den Schlichtungsverhandlungen erstellte Schlichtungsbericht (Panel Report) kann dann dem SAB vorgelegt werden, welcher sich noch einmal mit streitigen Rechtsfragen auseinandersetzt und diese dann bindend entscheidet. Von 1995 bis 2020 wurden dem SAB etwa zwei Drittel der Panel Reports zur Überprüfung vorgelegt.

Der SAB besteht aus sieben Richtern, welche von allen Mitgliedstaaten nach dem Consensus-Prinzip einstimmig für eine Amtszeit von jeweils vier Jahren bestellt werden. Eine konkrete Berufungsentscheidung trifft im Einzelfall jeweils eine dreiköpfige Kommission.

 

USA blockieren Streitschlichtungsapparat

 

Die sich seit dem Beitritt Chinas zur WTO zuspitzende Uneinigkeit der Mitglieder, welche auch durch den Beitritt Russlands im Jahr 2012 intensiviert wurde, führt zu immer mehr Komplikationen bei den Abläufen innerhalb der WTO. Nachdem der SAB die Schutzmaßnahmen der USA gegen Dumping für unzulässig erklärte, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den USA und der WTO. Das schlechte Verhältnis gipfelte darin, dass die USA seit Januar 2017 die Ernennung von Nachfolgern für aus dem Amt scheidende Richter blockierten, sodass der SAB seit Dezember 2019 mangels ausreichender Richter nicht mehr arbeitsfähig ist. Angefochtene Panel Reports können damit nicht mehr in einer zweiten Instanz verhandelt werden und somit auch keine Bindungswirkung mehr entfalten.

Verschiedene Versuche, die Konflikte zu lösen und das Streitbeilegungssystem zu reformieren sind mangels gemeinsamer Entscheidungsbasis der Mitglieder bis dato gescheitert. Derzeit versuchen die EU und 15 weitere Mitgliedstaaten, darunter China, Brasilien und die Schweiz, mit einer alternativen Streitschlichtung auf Grundlage der WTO-Regeln das blockierte WTO-Verfahren zu substituieren. Eine nachhaltige Lösung des Problems ist damit jedoch noch nicht gefunden.

 

Ein Ausblick

 

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Ernennung von Ngozi Okonjo-Iweala als neue Generalsekretärin alleine vermutlich die Blockade des SAB nicht wird lösen können. Allerdings könnte sie neuen Wind in die Suche nach einer entsprechenden Regelung bringen. Hinzu kommt, dass die neue US-Präsidentschaft einer Lösung sehr viel gewogener zu sein scheint als noch die alte. Dementsprechend ist trotz objektiver Interessenkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten noch nicht alle Hoffnung verloren und Okonjo-Iweala könnte den Dialog zwischen den Staaten auch in Anbetracht der globalen Wirtschaftskrise auf einen neuen, effektiven Weg bringen.

 

22.06.2021 - Lena Beermann - lb@ntg24.de

 

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